Von Franz Rheinberger

An die 3.300 neue Comics wurden im vergangenen Jahr auf den deutschsprachigen Markt geworfen und nur ein Bruchteil davon konnte gelesen und/oder registriert werden. Insgesamt lief es 2021 ganz gut für Comics, von „hohem zweistelligen Umsatzplus“ ist die Rede.[1] Dennoch gestaltet es sich schwierig, Titel zu finden, die keine inhaltlichen und überbewerten Desaster sind, wie Sweet Tooth, trotz der schicken Hardcover Neuauflage unter DC’s Black Label.

Doch, bevor man zu sinnvollen Empfehlungen kommt, sollen noch die genannt werden, die es nicht in die Top 3-Empfehlungen aus 2021 geschafft haben:

Die Rote Nacht ist im Eigenverlag erschienen und ist der Erstling von Erik van Schoor. Die Geschichte einer verschwundenen Frau ist zügig erzählt, wobei van Schoor als Inspirationsquelle, so kann man es dem Nachwort des Comics entnehmen, die „langlebige Edgar Wallace-Krimireihe der Fünftziger- und Sechzigerjahre diente“ – insbesondere bei der „angestrebte[n] düstere[n] Atmosphäre“. Final zieht van Schoor schließlich für sich das Fazit: „geht es bei mir eben um eine rote Nacht“ statt „um gelbe Narzissen, grüne Bogenschützen oder eine blaue Hand“.[2] Sich die ganzen Wirren der Handlungen auszudenken, zeichnerisch umzusetzen und damit schlussendlich in den Druck zu gehen, ist schon bemerkenswert. Daher ist es auch nachvollziehbar, wenn im Alfonz – Comicreporter von einem „vielversprechenden Debüt“ gesprochen wird.[3] In einer späteren Ausgabe wird dem Künstler ein verdientes Porträt als wichtigem Comicschaffenden spendiert, in dem u.a. verraten wird, dass Nachschub in Form einer „klaustrophobische[n] Horrorstory für eine Comicanthologie, in der die Themen Berlin und Lovecraft zusammenkommen“, im Anmarsch ist.[4]
Einfach im Blick behalten!

Eigenlob stinkt bekanntermaßen. Dennoch ist es angebracht, Legenden aus Hamsterland #1 – Der Wille des Fürstenanerkennend zu erwähnen (machen auch unsere europäischen Freunde in der Ukraine), weil die Geschichte perfekt für Familien konzipiert ist. Gemeinsam mit den kleinen possierlichen Nagern kann man aufregenden Abenteuern entgegenfiebern, während vor allem für die Älteren die Idee, reale Geschichte grafisch darzustellen, durchaus kreativ ist. Die angepasste liebevolle deutsche Übersetzung tut in Kombination zu den wundervollen Zeichnungen ihr übriges. Einziges bisheriges Manko: Sie ist zu kurz, aber der zweite Band steht schon in den Startlöchern.

Ein ungewöhnlicher Urlaub auf der Spy Island im Bermudadreieck inklusive täglichem Cocktail und „Ruf des Kraken“ aus dem Splitter Verlag.

Nun zu den Top 3, deren Reihenfolge beliebig getauscht werden kann:

Bis zum bitteren Ende (Splitter) ist ein großartiger Western, der kein Happy End kennt und rasant aufzeigt, wie alles der kapitalistischen Moderne unterworfen wird. Hart arbeitende Männer und tatsächlich aufmüpfige Frauen verschwinden oder werden in die Moderne eingegliedert, bis nichts mehr von ihnen übrigbleibt, außer einer austauschbaren Hülle und ein paar Erinnerungen, die immer mehr verblassen. Karl Marx beschrieb jene Entwicklung auch in Das Kapital: „Die Selbstverwertung des Kapitals durch die Maschine steht im direkten Verhältnis zur Arbeiterzahl, deren Existenzbedingungen sie vernichtet.“[5]

Westernfans, die nicht nur eine weitere Hommage an Lucky Luke (wie beispielsweise in Wanted von Matthieu Bonhomme) lesen möchten und selbst Leser, die Western normalerweise nichts abgewinnen können, sollten einen Blick riskieren.

Detektiv Deschamps, der stets knapp bei Kasse ist und sich selbst Dédé nennt, geht in mehreren Geschichten (herausgegeben als Kompendium: Dédé Integral 1 von Kult Comics – Inhalt: Band 1-4 plus Bonusheft 4 ½) unterschiedlichen Mord- und Überfällen auf den Grund. Die Qualität der Geschichten liegt in der stimmungsvollen Umsetzung des sympathischen Detektivs, der anderen karikaturistisch anmutenden Figuren und der skizzierten Landschaften, die stets in blasse Farben getunkt werden. Die vollständige Stärke des Comics wird jedoch durch die Beschrebung der niederen Motive einiger Täter entfaltet, die ihre Gier nach Geld (z.B. dubiosen Immobilienschwindel) befriedigen wollen. Natürlich sind nicht alle Kriminalfälle gleich spannend, aber das Umblättern auf die nächste genial gestaltete Seite löst wirklich Freude aus, was bei mir auch gleich zum Erwerb des 5. Teils führte: Dédé – Mir platzt gleich der Schädel. Leseproben direkt beim Verlag einsehen: Integral 1 und Band 5.

Crossover sind immer eine schöne Form der Kommerzialisierung, um einem größeren Pool an Lesern das Geld aus der Tasche zu fischen. Nebenbei bieten die Geschichten zweier unterschiedlicher Welten jedoch oft spannende Dynamiken, die ihren Zweck einer kurzweiligen Unterhaltung erfüllen, aber unter der Oberfläche oft noch mehr Potenzial besitzen. 2021 war dies die Crossover Story: Black Hammer/ Justice League – Hammer der Gerechtigkeit zwischen der Justice League, jener Heldentruppe um Batman, Superman und Wonder Woman aus dem Hause DC Comics, und den Helden um Abraham Slam und Golden Gail aus dem Black Hammer Universum – alles erzählt vom kanadischen Autor Jeff Lemire und veröffentlicht vom amerikanischen Dark Horse Verlag. Beide Heldenteams tauschen unfreiwillig ihre Welten. Da die Black Hammer Truppe an eine Farm gebunden ist, entstanden durchaus spannende Momentaufnahmen durch das Verhalten bekannterer DC Heldenikonen, wenn diese plötzlich an einen Ort gefesselt werden und umgekehrt sich die Akteure aus Black Hammer endlich frei auf der Erde des ihnen unbekannten DC Universums bewegen können – sehr zum Missfallen gewisser DC Helden. Die streckenweise spannende Handlung kann durch die Form des Endes jederzeit weitergesponnen werden. Bitte gerne!

Info am Rande: Auf deutsch erscheint Black Hammer bei Splitter, während die Justice League bei Panini Comics veröffentlicht wird. Die Crossover Geschichte erschien bei Panini nicht nur im Hardcover, sondern freundlicherweise im gleichen Format wie die Splitteralben – schön, dass hier jemand mitgedacht hat. Wer mit einem oder gleich beiden Teams vertraut ist, sollte zugreifen. Alle neuen Leser schauen hier.

Wir dürfen gespannt sein, was einem 2022, neben den Hydra Publikationen, so bietet.

Für Horror ist auf jeden Fall gesorgt:

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[1]    https://www.buchreport.de/news/comic-waechst-manga-boomt/

[2]    van Schoor, Erik: Nachwort zu Die Rote Nacht, 2. Auflage, o. O. 2021, S. 287.

[3]    Alfonz (2/2021), S. 90.

[4]    Alfonz (4/2021), S. 29.

[5]    http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_441.htm#Kap_13_5