Der konservative US-amerikanische Politiker Patric J. Buchanan sagte einst:
„Die Welt weiß alles, was die Deutschen getan haben; die Welt weiß nichts von dem, was den Deutschen angetan wurde.“
Während die heutigen Schüler auf ein umfangreiches Schulungs- und Bildungsmaterial über deutsche Kriegsverbrechen zurückgreifen können, drohen die Kriegsverbrechen der Roten Armee auf ostdeutschem Boden weitgehend in Vergessenheit zu geraten und aus der medialen Wahrnehmung zu verschwinden.
Gegen das Vergessen
Exemplarisch für die Tabuisierung und das Verdrängen der Ereignisse von Nemmersdorf im Oktober 1944 steht das jüngst in Berlin eröffnete „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, das in seiner Ausstellungskonzeption das Massaker von Nemmersdorf zwar in wenigen Sätzen historisch einordnet, doch in der fertigen Dauerausstellung im Obergeschoss wird „Nemmersdorf“ mit keiner Silbe auf den Texttafeln erwähnt! Das überrascht umso mehr, da Nemmersdorf in den meisten erschienen Publikationen über Ostpreußen 1944/1945 als das Fanal zur Flucht und Vertreibung der Deutschen gilt. Diese Geschichtslücken der bundesdeutschen Erinnerungskultur möchte unser unkonventioneller Comic Oktober ’44: Die Befreiung von Nemmersdorf nun mit der Darstellung der verdrängten Erlebnisse des Zweiten Weltkrieges aus der Sicht unserer deutschen Großeltern und Urgroßeltern schließen.
Ein Historiker als Autor. Der Zeichner: ein Profi.
Mit einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne gelang es dem Hydra-Imprint „Ostland Comics“, die „Graphic Novel“ vorzufinanzieren. Erzählt wird die Geschichte von den jungen ostpreußischen Söhnen und kriegsversehrten Veteranen, die von der militärischen Führung auf ein Himmelfahrtskommando gegen eine sowjetische Übermacht geschickt werden, die Angst und Schrecken des Krieges erleben und schließlich doch noch das Dorf befreien können. Der Autor des Comics, Markus Pruss, ist studierter Historiker mit Schwerpunkt auf Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa. Entgegen sowjetischer Dementi machen es seine jüngsten Entdeckungen in den Archiven des Auswärtigen Amts und dem Freiburger Militärarchiv überaus wahrscheinlich, dass es auch in Nemmersdorf tatsächlich zu einer großen Anzahl an Übergriffen der sowjetischen Truppen auf die Zivilbevölkerung kam.
Um die Ereignisse der Flucht und Vertreibung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, entschied sich Markus Pruss, die Forschung in Form seiner zweiten Leidenschaft, dem Comicbuch, mit dem Anspruch einer historisch genauen und unverfälschten Schilderung seiner Ereignisse umzusetzen. Damit erhofft er sich, das Leid seiner vertriebenen Vorfahren aus Ostpreußen wieder in den angemessenen Fokus der Erinnerungskultur zu rücken. Für seine Vorbereitung auf den Bildroman wertete Pruss hunderte unveröffentlichte Erlebnisberichte aus, forschte wochenlang in sämtlichen relevanten Archiven und erwarb sogar zeithistorische Objekte und Dokumente aus Nemmersdorf. Für ein historisch möglichst genaues Comicskript interviewte der Autor darüber hinaus die letzten Zeitzeugen der Ereignisse von Nemmersdorf im Oktober 1944, um Details zur Ausrüstung und Uniformierung sowie zum genauen Tagesverlauf während der Schlacht um Nemmersdorf zu erfahren. Zum ersten Mal wurde so vollständig erfasst, welche deutschen Einheiten das Dorf zurückeroberten. Von dem Skript über die Zeichnungen bis zu dem abschließenden Druck vergingen 16 Monate, in denen für die Illustrationen zeitgenössische Kriegsfotografien und Wochenschauberichte intensiv ausgewertet wurden, sodass sogar alle gezeichneten Militärfahrzeuge das passende Truppenkennzeichen bekamen. Es wurde darauf geachtet, dass sowohl der Fahrzeugtyp als auch der Tarnanstrich für den Spätherbst 1944 chronologisch stimmig sind. Damit die Dorfarchitektur den tatsächlichen Gegebenheiten in Nemmersdorf entspricht, wurden alle Gebäude nach Ansichtskarten des Dorfes gezeichnet und sogar mithilfe von Messtischblättern ein 3D-Model des Ortes erstellt, um perspektivisch genaue Dorfansichten zu illustrieren. Sorgfältig wurde auch darauf geachtet, dass die Hauptfiguren entsprechend ihres militärischen Ranges die authentischen Kragenabzeichen und entsprechende Bewaffnung bekamen. Penibel wurden zudem die passenden Orden an den exakten Stellen der Uniform platziert.
Wissenschaft und Popkultur
Mit diesem Comic-Projekt versuchen wir neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und Popkultur zu kombinieren. Ob es uns gelungen ist, kann jeder im Heft oder in der Hardcover-Ausgabe von Oktober ’44 – Die Befreiung von Nemmersdorf herausfinden. Neben dem Comic gibt es einen ausführlichen Redaktionsteil, in dem Pruss seine Ergebnisse samt Quellen präsentiert.
Ein bisher einzigartiges Projekt im deutschsprachigen Raum.