Von Franz Rheinberger
Bei dem Titel »Der Vigilant« kommt vielleicht manchem deutschen Comic-Fan zuerst der Cowboy Vigilante von DC Comics in den Sinn, welcher in der sehenswerten Trickfilm-Serie Justice League Unlimited (dt. Die Liga der Gerechten) u. a. in der Episode: »Task Force X« in Action bewundert werden konnte, in der er versuchte, das Selbstmordkommando aufzuhalten. Der deutschsprachige Comic »Der Vigilant, Jahr 2022«, hat allerdings nichts mit dem Westernhelden der erwähnten Serie zu tun, sondern in jenem Comic-Heft wird versucht, dem Medium eine andere Stoßrichtung geben, um einen Protagonisten zu zeichnen, der, so die ersten Gedanken des Comic-Vigilanten: »eingreifen, korrigieren, richten« will. Er orientiert sich damit an bekannte Anti-Helden: Punisher, Judge Dredd oder Rorschach. Diese Stoßrichtung soll jedoch nicht als bloße »Provokation« ablaufen, wie es der Autor Eric Zonfeld, auf der Reaktionsseite vom »Vigilant« verkündet.
Die Zeichnungen der beiden bisher vorliegenden Hefte sind in Ordnung, auch wenn diese dem Stil geschuldet teilweise verwaschen wirken. Dieser Stil ist jedoch nicht ungewöhnlich, zumal man trotzdem in den Gesichtern jede Mimik ablesen kann. Der Inhalt der Hefte wirkt dagegen bisher ziemlich zielstrebig, verheißt bisher jedoch keine nennenswerte Innovation, die über Zonfelds kritisierte »Langeweile« der hiesigen Comic-Erzeugnisse hinausgeht. Etwas nur als »politisch unkorrekt« zu betrachten, um jenen strapazierten Begriff zu verwenden, reicht kaum als Innovation aus, wobei der Comic streckenweise tatsächlich lediglich eine überspitzte Wirklichkeit (»wirklichkeitsnahes«) abbildet. Es sind bisher aber auch nur zwei Hefte erschienen, das heißt, es kann sich noch einiges ändern. Denn durch fehlende Innovation würde sich das eigene gelegte Fundament ziemlich schnell verhärten und trotz Bearbeitung kaum von dem bisherigen vorhandenen Beton unterscheiden. Diese mangelnde Bereitschaft den verhärteten Beton zu durchbrechen, unterstreicht jedoch einmal mehr die Flexibilität der liberal-ökonomischen Hegemonie, welche es auch in Krisen-Situationen schafft, gewisse Gegenpositionen einzubinden. Der Comic zeigt im Grunde, auf seine eigentümliche Art und Weise, wie hart der Beton sogar noch im »Jahre 2021« ist. Denn auch dort sprudeln weiterhin »100 Millionen Euro für den Kampf gegen Rechtspopulisten«, wenn beispielsweise wieder islamische Terroristen irgendwen ermordet und/oder verletzt haben und im Sinn der üblichen Betroffenheitsfloskeln, die tiefliegenden Probleme der liberal-ökonomischen Hegemonie ausgeblendet werden können, damit der »moralische Weltmeister« Deutschland seinen »Hypermoralismus« nach wie vor als »Überbau zur wirtschaftlichen Globalisierung« nutzen kann, dessen »Rhetorik« durch »Alternativlosigkeit« getragen wird, wie es der Philosoph Alexander Grau beschrieb, was wiederum bei einer Form der »wirklichkeitsnahen« Abbildung, wie vom Comic-Autor ersonnen, wenig überraschend erscheint. Dennoch steckt gerade in dieser Darstellung die fehlende Innovation und darauf bezieht sich die Kritik. Jedoch entfaltet der Comic eine andere Wirkung, welche durchaus Risse verursacht und kurzfristige herrschende Langweile vertreibt.
Im Comicreporter Alfonz werfen nämlich die Mitarbeiter Thorsten Hanisch und Peter Lau auf die beiden Hefte jener »unsäglichen Serie« einen »nötigen kritischen Blick«, weil man in der Alfonz »kontroversen Themen […] weiterhin nicht aus dem Weg« gehen will, so die Ausführungen im Editorial. Die vorgeschobene kritische Auseinandersetzung zu jenen Heften ist natürlich sehr zu begrüßen, doch die Ausführungen der beiden Mitarbeiter sind eher karg, spiegeln aber einen gewissen herrschenden und führenden Zustand der Hegemonie wieder, weshalb der Beitrag der Alfonz durchaus eine Erwiderung vertragen kann: »Es wäre eine sträfliche Unterlassung, dazu keine deutlichen Worte zu verlieren«, um gewisse Defizite sichtbar zu machen, ohne dass mit dieser Erwiderung ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Eher wird versucht werden in den Arbeitsbegriff »Neue Rechte« einen weiteren Stein für das noch lange unvollständige Mosaik einzusetzen. Denn bereits in der Einleitung des Artikels in der Alfonz wird nämlich der Arbeitsbegriff: »Neue Rechte« verwendet und in Verbindung mit den »Reichstagsstürmern« gesetzt. Später wird noch deutlich werden, dass Lau (stets flankiert von Hanisch) den Begriff einfach nach Gutdünken nutzt, ohne eine Form der theoretischen Unterfütterung und somit beweist, keine Ahnung von der Materie zu haben, was bei Lau allerdings auch schon an anderer Stelle deutlich wurde, als er versuchte Kritik an der ökonomischen Sphäre zu äußern. Aber auch andere Felder verdienen eine entsprechende Antwort und eine kleine Ergänzung, weil der oben skizzierte »Bezug zur Realität«, welcher den Comic durchaus in abstrakter Form besitzt, komplett weg gewischt wird.
Unterschiedliches Niveau
Bei der »Neuen Rechten«, so Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber, handelt es sich um »eine lose Intellektuellengruppe«, die »den intellektuellen Diskurs als politisches Handlungsfeld« versteht und jene Gruppen ausschließt, denen »dazu das intellektuelle Format fehlt«. Worunter, also unter die ausgeschlossenen Gruppen, eben auch der hedonistische und durch das ökonomische System inhärent geprägte Reichstagsstürmer gehört. Gerade jener »Sturm« am 29. August war auch eher, so in den Augen des Politikwissenschaftlers Albrecht von Lucke, »ein immenser symbolischer Sieg« von »bekennende[n] Nazis, radikale[n] Verschwörungsideologen sowie eher unpolitische[n] Esoteriker[n] und Impfgegner[n]«, welcher in einer »kruden Mischung […] in Ablehnung der Coronamaßnahmen« verschmolzen war. Der Begriff »Nazi« wird zwar ebenfalls inflationär verwendet, dass er nicht nur in intellektuellen Zirkeln jede ernstzunehmende Wirkungsmacht verloren hat, man aber dennoch seine Verwendung unverhohlen weiter praktiziert, wie sich später noch zeigen wird, aber man muss dennoch festhalten, dass am 29. August 2020 auch Linke in Berlin anwesend waren. So sah von Lucke bereits vorher, dass man »es mit einer höchst heterogenen, amorphen Sammlungsbewegung eigener Art zu tun« hat, die lediglich aus seiner linken Perspektive für die »Neue Rechte« »attraktiv« sei, was nicht bedeutet Teil dessen zu sein, sondern dass ein Blick auf diese gerichtet war. Obwohl in jener »kruden Mischung« kein »intellektuelles Format« schlummert und dies somit kaum eine Attraktivität für ernsthafte »Neue Rechte« Akteure besitzt, sind nicht alle Ängste der Teilnehmer unberechtigt, weil sich unter ihnen auch jene befinden, die um ihre schlichte Existenz fürchten, weil sie ihre Arbeit verlieren. Dort liegt auch der Anknüpfungspunkt, jene Sorgen ernst zu nehmen. Denn am Ende ist von Lucke kein großer Connaisseur für die »kleinen Leute«, sondern nur ein linksliberaler Politikwissenschaftler.
Jene Gruppe bei Lau und Hanisch, welche hier die kritische Ausgangsbetrachtung darstellt, wird krampfhaft oder simplifizierend der »Neuen Rechten« dazu gedichtet, gerade wenn man in blanker Ahnungslosigkeit wie Lau schwelgt: »die komplexe Realität auf simple Fronten reduziert – und das ist das Weltbild der Neuen Rechten.« Mit der Verbindung der beiden Gruppen wird genau das praktiziert, was Lau versucht anzukreiden, die Komplexität reduziert und schlussendlich einer reinen animalischen Betrachtung unterworfen. »Intellektuelle können gegen die rohe Intoleranz nichts ausrichten, denn vor dem rein Animalischen das kein Denken kennt, ist das Denken wehrlos.« Damit wird jenes Problem deutlich, weil gegen solche inhaltsleeren Vorwürfe, wie von Lau (und Hanisch) formuliert, kann sich die »Neue Rechte« zwar wehren und eigene Akzente setzen, doch durch den vorhandenen engen Meinungskorridor kaum das gleiche Publikum erreichen.
Denn bereits der Soziologe Thomas Wagner bemerkte in seiner Untersuchung zur »Neuen Rechten«, dass sich kaum jemand die Mühe mache, »sich ernsthaft mit ihren Argumenten zu befassen«. Dies beweisen auch die beiden Alfonz-Mitarbeiter, obwohl schon innerhalb der Comicforschung die Blendgranate geworfen wurde, mit »rationalen, sachlichen Argumenten« das »Gespräch« zu suchen, weil »nur das der richtige Weg sein« kann. Vermutlich wird es dazu nie kommen. Obschon selbst Gegner beobachtet haben, dass »das neuerliche Interesse der Neuen Rechten an Marx und Kapitalismuskritik im Allgemeinen […] als Versuch einer Erweiterung des rechten Resonanzraums im Kontext der aktuellen Krise der kapitalistischen Globalisierung […] betrachtet werden« kann und somit eine interessante Dynamik entstehen könnte. Man kann hier sogar aus dem »Nähkästchen« plaudern, dass es zu »heftigen internen Debatten« darüber kommt, wie dem Kapitalismus »ein rechter Antikapitalismus entgegenzustellen sei, aufgeladen mit den Linken gekaperten Theoriebausteinen und Vordenkern samt deren Jargon.« Man ist sich also innerhalb der »Neuen Rechten« nicht nur einer gewissen Komplexität bewusst, sondern bereichert dazu, wie auch von Linken bemerkt, »den mannigfaltigen rechten Denkkosmos durch Bestandteile der Marxschen Gesellschaftskritik«, um einen Antikapitalismus für das 21. Jahrhundert zu formulieren, wobei man keineswegs vor Kritik am eigenen Lager und den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen zurückschreckt: »Sie [Liberalkonservative, Anmerk. d. Verf.] blenden die Kehrseiten der kapitalistischen Produktionsweise und Gesellschaft aus und nehmen passiv, qua lauten Schweigens im ökonomischen Beritt, die umfassenden und umwälzenden Veränderungen in den verschiedensten Segmenten hin, solange der Kapitalismus nur den obersten Schichten exorbitante Gewinne ermöglicht, nicht aus den Fugen gerät.«[1] Wobei diese innerhalb der Erweiterung des Denkkosmos erlernten Zusammenhänge, auch auf die popkulturelle Sphäre übertragen werden können. Die Verbindung zwischen beiden Gruppen (»Neue Rechte« und »Reichsbürger«), gelingt also nur durch eine latente Theorielosigkeit, welche Lau und Hanisch auch in anderen Ebenen ausdrücken.
Den Dreck vor der eigenen Tür weg kehren statt im bunten Wolkenkuckucksheim zu leben
Schon in der Einleitung wird der Comic – allgemein – von Lau und Hanisch als »heile Welt« konstruiert, welche bisher von »Populismus« unberührt blieb. Comics waren schon immer politisch und wurden durch gewisse Themen zunehmend politischer, wie man selbst bei Klaus Schikowski in der »Der Comic« nachlesen kann. Bereits vor 2000 beschrieb Camille Paglia von dem Verschwinden einer reichhaltigen und dynamischen Popkultur, worunter auch der Comic fällt, durch feministische Akteure, die natürlich bis heute keine abweichenden Meinungen ertragen können, was sich in zeitlich angepassten Zuständen in der teilweise desaströsen Comicforschung niederschlägt und sich ebenfalls in der unausgewogenen Interpretation von bestimmten Comics ausdrückt. Diese Entwicklung ist keineswegs ungewöhnlich, weil es hat »keine noch so bizarre Nischenkultur gegeben, die nicht früher oder später kommerziell verwertet worden wäre.« Was in unserer heutigen Epoche heißt, einem linkskapitalistischen Verwertungs- und Optimierungsprozess unterworfen zu sein. Eine »Gegenhegemonie«, die sich gewisser Irrlichter entledigt, schafft es womöglich, im Sinne der DC-Reihe »Represent!«, ihre »Persönliche Erfahrungen, ungehörte Stimmen und Soziale Revolution« einem anderen Publikum regelrecht zu verkörpern, damit es nicht länger bei den »singuläre[n] Randerscheinungen« bleibt, sondern die Schattenseiten der elendigen linkskapitalistischen »heilen« Utopie und ihrer langweiligen kulturellen Erzeugnisse in alternativen Produkten dauerhaft sichtbar zu machen. Ob dies nun einigen passt oder nicht, ist dabei herzlich egal. Trotzdem wird dabei auch das Scheitern, ebenfalls der systeminhärenten Kommerzialisierung zu erliegen, nicht ausgeschlossen, aber man sollte experimentieren und hier kann auch »Der Vigilant, Jahr 2022« eventuell noch Gelände gewinnen.
Gerade weil linke Akteure in der Comicwelt ziemlich freie Hand haben, ist Abwechslung, gerne auch im Sinne der abgenutzten linken Phrase »Diversity«, bitter erforderlich. Zumal im US-amerikanischen Raum, streckenweise sehr erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen gegen die langweiligen Erzeugnisse der großen Comicgiganten umgesetzt wurden. Denn während die eine Seite kritisiert wird, wird u.a. der Berliner Comic-Zeichner und Schreiber des Berliner Tagesspiegels Bela Sobottke, in derselben Ausgabe der Alfonz, porträtiert und darf seine – passenderweise – als »systemrelevant« eingeschätzten, treffender – wobei wie angemerkt keine zwingende Unvereinbarkeit – debilen Ansichten unverhohlen äußern: »In unserer aktuellen Realität, in der die Nazis wieder laut wie selten sind, kann es nicht genug ›Punch-a-Nazi-Comics‹ geben.« Zu jener »aktuellen Realität« werden nachher noch einige Worte fallen. Alfonz-Mitarbeiter Ralph Trommer leitet diese Worte von Sobottke sogar mit: »Auch die Politik lässt den Kreuzberger Künstler nicht kalt« ein. Jene flache Aussage von Sobottke wird nicht nur als Politik verstanden, was für sich allein stehend schon ein Armutszeugnis darstellt, sondern wird auch ohne Widerspruch hingenommen. Denn ein Blick in den Comic »Blutmond 3000«, auf den im Beitrag verwiesen wird und welcher ein Resultat der Ansichten von Sobottke ist, in dem er seine Phantasie auslebt, dass seine schwarze Heldin »eine Nazi-Kolonie auf dem Mond ausrotten [sic]« muss, so der O-Ton von Sobottke gegenüber der Alfonz. Dies zeigt, welch niedriges geistiges Niveau sich doch innerhalb der linksliberalen Künstlerszene manifestieren konnte. Schließlich wird in dem Comic »Blutmond 3000« »die komplexe Realität auf simple Fronten reduziert«, wie es doch Lau bemerkte. Im Comic von Sobottke steigert er seine Flucht aus der Komplexität in die Gewaltphantasie der Ausrottung unliebsamer Personengruppen, was nicht nur »AfD-Gesocks« betrifft, so die Worte im Comic, sondern eben auch »Front National-Wähler« und »Trump-Jünger«. Die »Front National« heißt zwar schon seit geraumer Zeit anders (»Rassemblement National«) und zudem unterscheiden sich AfD und jene französische Partei, hinsichtlich ihrer sozialen Ausrichtung doch in weiten Teilen erheblich, aber ihre Wähler kommen u. a. vermehrt aus der Arbeiterklasse, denen sie wieder eine Stimme geben. Zudem, wohin dieser antifaschistische Wahn führt, konnte man in Portland sehen, als ein Trump-Unterstützer/»-Jünger« von einem Antifaschisten erschossen wurde und dies auch noch gefeiert wurde. Jener Tat ging »eine unmißverständlich eliminatorische Rhetorik« voraus, wie es Martin Lichtmesz in Bezug auf Portland formulierte. Der bissige Cartoonzeichner Stonetoss entwarf dazu eine passende Illustrationen, die dieses »Punch-a-Nazi« einfing. Im Grunde verwundert die linksliberale Verachtung solch systemrelevanter Comicschaffender gegenüber Arbeitern und Andersdenkenden nicht im Geringsten, sie erfüllen vielmehr ihre Funktion.
Schließen wir jenen Blick auf diese systemrelevanten langweiligen Künstler und kehren zu den beiden Koryphäen zurück. Beide arbeiten sich noch mit anderen Mitteln an dem skizzierten Vigilanten ab und sind sich des einfallslosen Kampfes »Gut gegen Böse« bewusst. Dennoch meint Hanisch, dass »Figuren meist Brüche in der Charakterzeichnung« aufweisen, was sich zwar durchaus noch entwickeln könnte, doch in diesem Fall auf einen Kampf »gegen ›das Andere‹«, so wie bei Sobottke, hinausläuft und im »Vigilant« die Figur »als höchste moralische Instanz« gilt. Die Figur »Vigilant« bedient sich dabei jedoch nur bei bereits vorhandenen Figuren. Im Kern macht er nämlich nichts anderes als Rorschach in Watchmen mit Gerald Pric oder in der Geschichte zu Before Watchmen mit Ronald James Randall, weil in den Augen von Rorschach das Rechtssystem versagt habe. Rorschachs Schöpfer, kein Geringerer als Alan Moore, erklärte, dass die Ursprünge seiner Figur bei Question liegen: »Eine extreme Figur, dass seine Einstellung und seine Taten selbst die hartgesottensten Rechtspopulisten beunruhigen würden.« Jene Figur und der daraus entwickelte Anti-Held von Moore, handelt schlussendlich nach seinem Moral-Kodex. Diese moralische Komponente in Comics ist wie angedeutet nichts Ungewöhnliches. Sogar Spider-Man wurde als »Vigilant« eingestuft, der die »Unfähigkeit des Systems«, seine Bürger zu schützen, selbst in die Hand nimmt. Diese Sichtweise auf die Figur Vigilant übertragen, könnte, trotz gewisser Zielstrebigkeit, noch für Überraschungen sorgen und die doch nur stumpfe schwarz-weiße Schichtweise von Lau und Hanisch überwinden, welche lieber die »woke« Entwicklungen der muslimischen Superheldin Ms. Marvel unreflektiert feiern.[2]
Zudem gibt es im zweiten Heft von »Der Vigilant« eine Szene, in der ein Rentner von einem Schwarzen belästigt wird, welche auch von Hanisch erwähnt und in der Alfonz bildlich abgedruckt wird. Doch die Tatsache, dass der Schwarze sich u. a. der Phrase »Nazi« und des damit verbundenen Vorteils bewusst ist, wird vom Alfonz Mitarbeiter hinter der Aussage verkleistert: »muss es Zonfeld [Autor vom Vigilant, Anmerk. Verf.] noch ausformulieren?« Dass eine gewisse Form der Multikulturalität neben ihrer ökonomischen Verwertung, keine nennenswerten Vorteile bietet, wurde kürzlich an einem Fall in Cottbus deutlich, ist also aktuelle Realität. Dort wurde ein 19-jähriger, »ein Zufallsopfer«, von einem »28-jährigen Mann aus Pakistan, der der Polizei bereits wegen Straftaten bekannt ist«, mit einem Messer verletzt. Die B.Z. schrieb sogar (durchaus reißerisch): »Unglaublich ist auch, was Abdulsalam R. den Beamten zum Motiv seiner Tat sagte: Er habe einen Menschen verletzen (oder töten) wollen, um sich einen ›weiteren Verbleib in Deutschland zu sichern‹. Seine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland sei gerade abgelaufen. Die Tat hat er den Beamten gestanden.« Dies wurde jedoch nicht bestätigt. Jedoch führte jene Tat selbst im Neuen Deutschland, verständlicherweise ohne tiefe Kritik, aber in Bezug auf die B.Z. zur Aussage: Dass »es ein schreckliches und kaltblütiges Verbrechen« war, nur um danach wieder zu relativieren und bereits andere Erkenntnis zu unterschlagen. Aus welchem Grund, jene bestialische Tat eine Erwähnung wert ist? Weil es darum geht, Lücken zu schließen statt solche Realitäten auszublenden und sich in seine »heile« konstruierte Comicwelt zurückzuziehen, in der es angeblich solche Fälle nicht gibt, so wie es eben der Comic skizziert.
Ähnlich verhält es sich mit dem Symbol der Taube, die für Hanisch »reingewürfelt« und die »von zwei Teenies mit einer Steinschleuder gekillt« wurde. Woanders hätte man sich Mühe gegeben, ein Symbol des Friedens darin zu sehen oder sonst irgendwelchen Müll hineininterpretiert, um sich die Opfer auf dem multikulturellen Schlachtfeld schönzureden. Doch lieber ignoriert man sie.
Ein kurzes Fazit, doch kein Ende der Auseinandersetzung
Man könnte am Ende ein überspitztes Fazit ziehen, wie will man es sonst ausdrücken? Als Intellektueller hat man keine Chance gegen jene, die in einem Comic-Magazin wild irgendwelche Begriffe mixen und jene die eine Treppe stürmen. Reichstagsstürmer und die beiden Herren Lau und Hanisch, unterscheiden sich somit kaum in ihrer intellektuellen Beschaffenheit, sondern nur darin, in welcher Art und Weise der ökonomische Komplex sie und ihre Erzeugnisse verwerten soll. Am Ende konstruieren sich beide Seiten ihre eigene kleine heile Utopie und leugnen die Realität. Eine der schlussendlich gestellten Fragen von Hanisch: »Was wollen die Leser?« kann man nur so beantworten: Es soll ruhig noch weitere Auseinandersetzungen geben und man soll darüber berichten. Dies muss nicht positiv sein, mitnichten, weil man dann endlich vielleicht einmal lernt zu verstehen und anfängt Selbstkritik zu üben, statt borniert weiterzumachen wie bisher und in völliger Ahnungslosigkeit gegen konstruierte »Neue Rechte« zu kämpfen.
Der Vigilant, Jahr 2022, Heft 1 und Heft 2 bestellen, um sich selbst ein Bild zu machen.
Zum Alfonz – Comicreport hier entlang.
[1] Vgl. Kaiser, Benedikt: Marx von rechts? Ausgangspunkte für einen Neubeginn. In: Marx von rechts (= Jungeuropa Theorie, Bd. 2) Dresden 2018
[2] Diese Figur verdient eventuell einmal eine separate Betrachtung. Nur bereits so viel: Jene Figur verkörpert den »Gleichmachprozess der globalisierten Moderne glattgeschliffene Multikulturalität« [Bauer, Thomas: Die Vereindeutigung der Welt, Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, 10. Auflage, Ditzingen 2018, S. 12.], wo eine »fremde« Lebenswelt in den ökonomischen Verwertungsprozess eingegliedert wird, um deren Widerstand zu schleifen bzw. deren vorhandenen Kompatibilität sichtbar zu machen, wie es u. a. Slavoj Žižek betonte [Vgl. Žižek, Slavoj: Der neue Klassenkampf, die wahren Gründe für Flucht und Terror, 6. Auflage, Berlin 2017, 19f.].